Eigentlich wollte ich meine Artikelserie aus der Schreibwerkstatt mit der Frage beginnen, welchen Zweck Schreibanleitungen haben, ob man aus ihnen kreatives Schreiben erlernen kann und ob kreatives Schreiben überhaupt erlernbar oder eine „angeborene“ Fähigkeit ist.
Nun, ich bin davon überzeugt, dass kreatives Schreiben sehr wohl erlernbar ist und dass jeder, der einen einigermaßen geraden Satz formulieren und sich mündlich ausdrücken kann, auch kreativ schreiben kann, wenn er willens ist, es zu lernen. Irgendwie habe ich auf diese ewige Diskussion im Moment aber einfach keine Lust. Wer unbedingt glauben will, dass kreatives Schreiben eine gottgebene Fähigkeit ist und er es niemals lernen kann, der wird sich auch von mir nicht vom Gegenteil überzeugen lassen und soll von mir aus auf seinem bequemen Standpunkt hocken bleiben. Für alle anderen lasse ich das ganze Vorgeplänkel über Talent und Begabung einfach mal beiseite und fange mit meinen Schreibwerkstattberichten mittendrin an, dort, wo die Arbeit bereits in vollem Gange ist. Bei den Figuren. Und dabei, wie man sie erschafft.
Bevor ich anfange, mir darüber Gedanken zu machen, wie eine Figur sein soll, will ich mir darüber klar sein, welche Figuren überhaupt gebraucht werden, um die Geschichte zu erzählen. Wer ist die Hauptfigur, der „Held“? Wer steht ihm zur Seite und wird ihm bei der Erfüllung seiner Aufgabe behilflich sein? Und, noch wichtiger: Wer ist gegen ihn und wird ihm bei der Erfüllung seiner Aufgabe hinderlich sein? Hauptrollen und Nebenrollen sind zu besetzen. Und, nicht zu vergessen, die Statisten. Es ist ähnlich wie beim Casting für einen Film.
Die Überlegungen darüber, welche Geschichte man grundsätzlich schreiben möchte und welchem inneren Aufbau sie folgen soll, sollten zu diesem Zeitpunkt in groben Zügen bereits erfolgt sein. Wobei man in diesem Fall den Gaul natürlich auch von der anderen Seite her aufzäumen kann und sagen, die Figuren erschaffen die Geschichte, wie es beispielsweise Elizabeth George in ihrem Schreibratgeber „Wort für Wort“ tut. (Elizabeth George, Wort für Wort, Seite 32 f.)
Letztlich ist es ganz egal, von welcher Seite aus man es betrachtet: Figuren und Plot bedingen einander, und die Figurenliste wächst zusammen mit dem Aufbau des Handlungsentwurfes zu ihrem vollständigen Umfang an, wie umgekehrt der Handlungsentwurf mit den Figuren Kontur annimmt. Wobei „vollständig“ nicht heißen soll, dass die Liste statisch ist. Beim Erstellen der Rohfassung und auch später können jederzeit Figuren hinzukommen oder wegfallen.
Es wird nur in den seltensten Fällen möglich sein, eine Figur direkt beim ersten Wurf vollständig anzulegen, aus dem einfachen Grunde, weil sie im Kopf noch nicht fertig ist. Deswegen geht man bei der Analyse einer Figur am besten schrittweise vor. Wie das passiert, wollen wir uns beim nächsten Mal anschauen.
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