Einst war ich in dem Irrtum befangen, ich könne ein Manuskript in dem Umfang, wie es jetzt vor mir liegt, in einem Zeitraum von sechs bis neun Monaten fertigstellen (fertig natürlich versehen mit allen möglichen Konjunktiven). Leichtsinnigerweise erzählte ich daraufhin einigen Leuten, naja, zu früh davon und versprach außerdem, den Text zu gegebener Zeit zum Probelesen rauszurücken. Was ich nicht bedacht hatte, war zum Einen, wie lange ich tatsächlich noch brauchen würde und zum anderen, mit welcher Ungeduld und Hartnäckigkeit mir die Leute in Ohren liegen würden, ich möge doch bitte endlich in die Kontakte kommen. 😉
Ja, einer meiner lieben Freunde muss sogar einen guten Draht zum ›Guess What‹, dem Sprachorgan der Magier haben, denn gestern stattete mir ein Journalist des ›Guess‹ einen Besuch ab.
Lesen Sie, was dabei herauskam…
Dave: „Oh, hallo Alex. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?“ Alex: (verblüfft) „Sie kennen mich?“ Dave: „Na klar, Alex. Ich habe neulich mit großem Interesse Ihr Interview mit Puffie gelesen.“ (siehe Die Evolution eines Namens, Anm. d. Red.) Alex: „Oh, freut mich. Ich hoffe, es ist nichts Falsches rübergekommen…“ Dave: „Nein nein, war alles in Ordnung so weit. Also: Was gibt’s heute?“ Alex: „Tja, Herr K…“ Dave: „Dave.“ Alex: „Gut, denn, Dave… Ich bin von ein paar Leuten angesprochen worden, die sich fragen… und die mich fragen, wie lange es denn noch so dauert, bis Sie… und bis sie…“ Dave: (lacht) „Ist nicht Ihr Ernst, oder? Sie lassen sich auch für alles vor den Karren spannen, was? Ich hol uns erstmal was zu trinken. Könnte ja länger dauern. Kaffee, Scotch, Bier?“ Alex: „Ich, äh, Kaffee wäre nett.“ Dave: „Schließe mich an. Augenblick, bin gleich wieder da…“
Dave: „So… bitte. Milch? Zucker?“ Alex: „Danke. Etwas Milch, bitte.“ Dave: „Okay, dann sehen wir mal, was ich für Sie tun kann. Schießen Sie los.“ Alex: „Tja, Dave. Ihre Testleser fragen sich in der Tat, wie lange es denn tatsächlich noch dauern wird, bis etwas Lesbares in ihre Hände fällt oder vielleicht unter dem Weihnachtsbaum liegt. Das ist Ihnen ja sicherlich nichts Neues.“ Dave: „Nein, das ist es tatsächlich nicht. Ich kann auch nur immer wiederholen, was ich schon häufig gesagt habe: Es dauert so lange, wie es dauert. Versichern kann ich, dass es garantiert länger als bis Weihnachten dauert. Ich habe selbst nicht damit gerechnet, dass sich das Projekt so lange hinziehen würde, sonst hätte ich vermutlich noch ein wenig gewartet, bis ich überhaupt anfange, davon zu erzählen. Ich kann die Ungeduld durchaus verstehen. Ich bin ja selbst ungeduldig.“ Alex: „Wie das…?“ Dave: „Ja. Ich meine natürlich nicht in Bezug darauf, wie es ausgeht. (lacht) Aber ich würde auch gern fertig werden und mit dem nächsten Projekt loslegen. Dauernd schwirren mir schon Gedanken über eine neue Geschichte durch den Kopf. Sich da auf das laufende Projekt zu konzentrieren ist nicht immer ganz einfach.“ Alex: „Es gibt also schon Ideen für eine weitere Geschichte?“ Dave: „Gewiss.“ Alex: „Eine Fortsetzung aus dem gleichen Universum oder eine gänzlich neue Geschichte?“ Dave: (grinst vielsagend) Alex: „Wenn Sie selbst so versessen darauf sind, das Projekt abzuschließen, warum, naja, geben Sie dann nicht ein wenig mehr Gas?“ Dave: „Ich wünschte, das wäre so einfach. Ob Sie’s glauben oder nicht, aber ich arbeite fast jeden Tag an dem Text. Was ich absolut unterschätzt habe, ist der tatsächliche Aufwand, der dahinter steckt. Sehen Sie als Beispiel mal den nächsten Überarbeitungszyklus an: Es wird der insgesamt fünfte. Ich beschäftige mich dann mit Fragen des Tempos, Aufbau einzelner Szenen, Spannung in den Dialogen und so weiter. Ein Kapitel zunächst auf die Notwendigkeit von Änderungen zu checken kostet mich eine Netto-Bearbeitungszeit von mindestens einer Stunde. Es nach der Überarbeitung nochmals zu konsolidieren, eine weitere Stunde. Für die eigentliche Überarbeitung gehen ca. drei bis vier Stunden drauf. Macht zusammen sechs Stunden. Das alles sind Nettozeiten. Und es sind Mindestzeiten, die auch locker doppelt so lang werden können. An Tagen, an denen ich auch noch ehrlicher Arbeit nachgehen muss, komme ich maximal drei Stunden zum Schreiben. Das bedeutet zwei Tage Arbeit pro Kapitel. Mindestens. Neunundzwanzig Kapitel sind es; macht minimum zwei Monate für einen Überarbeitungszyklus. Voilà.“ Alex: „Aber müssen Sie nicht irgendwann einfach mal zu einem Ende kommen? Ich meine, wenn Sie immer wieder neue Überarbeitungszyklen draufsetzen, lässt sich das ja endlos fortsetzen.“ Dave: „Das Argument ist mir nicht neu. Glauben Sie mir: Ich wünschte auch, es ginge schneller. Geduld ist keine meiner Tugenden. Ich stelle halt nur fest, wann immer ich eine Runde beendet habe, dass ich noch nicht so weit bin und das einfach noch etwas fehlt. Wenn ich irgendwann einmal die erforderliche Routine habe, werde ich das gewiss auch in weniger Überarbeitungszyklen und in kürzerer Zeit hinkriegen, aber bezogen auf dieses Projekt erwies sich meine Annahme von Anfang an als illusorisch. Und ich weigere mich einfach, eine halbfertige Sache aus der Hand zu geben.“ Alex: „Warum?“ Dave: „Wie soll ich von einem Testleser erwarten, dass er meiner Geschichte folgen kann, wenn sie inhaltlich einfach nicht vollständig ist? Bei der letzten Überarbeitung sind noch Charaktere eingeführt worden, die es vorher überhaupt nicht gab; die einfach plötzlich da sind, ohne das je erklärt wurde, wo sie herkamen. Ich erinnere da an Ludwig. Alex: „Die Entsprechung der Eule Hedwig aus den Harry Potter-Büchern?“ Dave: „Richtig. Er spielt eine wichtige Rolle, die ich mir aber erst vor ein paar Wochen ausgedacht habe. An der Stelle, wo ich ihn brauchte, um eine Lücke in der Handlung zu schließen habe ich ihn eingebaut, aber wie er überhaupt seinen Weg zu Heinrich findet, war noch nirgends erklärt. Und das ist nur ein Beispiel. Ich verspreche mir ja etwas von meinen Testlesern. Ich will wissen, ob der Text als Geschichte bestehen kann. Ob er ein Ganzes ergibt und die Figuren, Schauplätze und Handlungen im Kopf eines Lesers funktionieren. Wie kann aber ein Text im Kopf eines Testlesers eine Einheit bilden, wenn er selbst in meinen Augen, und ich habe die Geschichte allgegenwärtig im Kopf, noch nicht vollständig ist?“ Alex: „Wenn Sie Ihren Testlesern früher Einsicht in Ihren Text gäben…“ Dave: (lacht) „Ja, ich weiß, was jetzt kommt. Dann könnten sie mir natürlich auch viel eher Hinweise geben, wo es noch hakt. Klar, ab einem bestimmten Stadium trifft das zu. Das wird auch der Zeitpunkt sein, an dem ich den Text rausgeben werde. Dieser Zeitpunkt kann aber erst dann gegeben sein, wenn ich selber keine Verbesserungen mehr anbringen kann. Ich bringe an dieser Stelle gerne das Beispiel mit dem Protokoll, das jemand über eine Sitzung schreiben und seinem Chef vorlegen soll. Oder, noch besser: Ein Artikel für Ihre Zeitung. Stellen Sie sich vor, Sie sollen für Ihren Chef einen Artikel schreiben. Sie recherchieren, machen einen Entwurf und überarbeiten ihn. Zu welchem Zeitpunkt würden Sie ihn Ihrem Chef geben?“ Alex: „Nun…, wenn er fertig ist. Also, aus meiner Sicht fertig ist.“ Dave: „Richtig. Sie liefern Ihrem Chef keine halbfertige Arbeit ab, damit er den Rest macht, sondern Sie erledigen Ihren Job erstmal, so gut Sie können. Und erst, wenn aus Ihrer Sicht alles getan ist, geben Sie den Text frei. Genau so mache ich das auch.“ Alex: „Gut, das klingt soweit logisch. Wie geht’s weiter?“ Dave: „Es wird nicht mehr sooo lange dauern. Die erste Leseversion wird gedruckt, wenn alle inhaltlichen Dinge erledigt sind. Das heißt, noch bevor die letzten sprachlichen Feinheiten zurechtgeschliffen werden. Ich zwinge mich auch selbst dazu, jetzt nicht ungeduldig zu werden. Ungeduld führt zu schludriger Arbeit. Gerade beim Finish einer Geschichte wäre das tödlich.“ Alex: „Nun, Dave, das ist sicherlich vernünftig. Ich hoffe, meine Leser werden sich damit zufrieden geben.“ Dave: „Es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, oder?“ (grinst) Alex: „Stimmt. Dave, ich danke Ihnen für das Gespräch.“ Dave: „Keine Ursache. Ich halte Sie auf dem Laufenden. Bis demnächst.“ Alex: „Bis demnächst. Und danke für den Kaffee.“
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